Am 8. November 2024 verlieh die Deutsche Gesellschaft e. V. ihren diesjährigen Preis für Verdienste um die deutsche und europäische Verständigung an Charlotte Knobloch.
Charlotte Knobloch ist seit 1985 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern K.d.ö.R. Zudem hat sie wichtige Ämter in internationalen und nationalen jüdischen Institutionen wie dem Jüdischen Weltkongress und dem Zentralrat der Juden in Deutschland bekleidet. Sie ist Überlebende des Holocaust und hat sich seit der Nachkriegszeit um den Aufbau des jüdischen Lebens verdient gemacht. In Anerkennung ihres Engagements gegen Antisemitismus, ihres Eintretens für den interkulturellen und interreligiösen Dialog sowie ihrer Arbeit für ein friedliches, solidarisches Miteinander der Menschen wurde ihr der diesjährige Preis der Deutschen Gesellschaft e. V. verliehen. „Mit ihrem jahrzehntelangen Einsatz hat sich die Preisträgerin in herausragender Weise um die Entwicklung des jüdischen Lebens und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Bundesrepublik verdient gemacht. Ihre Haltung und ihr Handeln ermutigen viele, allen Formen von Antisemitismus sowie gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten und für die Werte der Demokratie einzustehen“, heißt es in der Begründung.
In ihrer Laudatio würdigte Bärbel Bas die Preisträgerin als Vorbild. „Ich gratuliere Charlotte Knobloch aus ganzem Herzen zum Preis für deutsche und europäische Verständigung“, so die Präsidentin des Deutschen Bundestages. „Charlotte Knobloch hat sich ihr Leben lang für das Miteinander eingesetzt. Die Preisverleihung nimmt uns alle in die Pflicht: Engagieren wir uns mit Charlotte Knobloch für Zusammenhalt in unserem Land. Engagieren wir uns für ein Deutschland, über das jüdische Familien sagen: Hier fühlen wir uns sicher. Für ein Deutschland, wo Menschen füreinander einstehen.“ Den Text der Rede finden Sie auf der Webseite des Deutschen Bundestages.
In ihrer Erwiderung erinnerte sich Charlotte Knobloch an ihre Zeit im nationalsozialistischen Deutschland und an den demokratischen Neuanfang. Den 9. November 1938 „habe ich als Kind in München miterlebt. (…) Ich habe erlebt wie Fensterscheiben eingeworfen wurden und wie die Synagoge brannte“, so die Preisträgerin.
Nach dem Ende der nationalsozialistischen Barbarei sei, obwohl die Zeichen denkbar schlecht gestanden hätten, ein demokratischer Neuanfang in Teilen Deutschland und Europas, nach 1990 in fast ganz Europa geglückt. „Jahrzehntelanger Frieden, Wohlstand, und schließlich der Sieg von Demokratie und Rechtsstaat“ sei zur Normalität geworden, in der auch jüdisches Leben neu entstand. „In Deutschland und Europa wuchsen die jüdischen Gemeinden wieder an, und sie wuchsen zusammen. (…) Heute sind unsere Häuser – in München und anderswo – im besten Sinne kosmopolitisch, man hört bei uns Deutsch und Englisch, Hebräisch, Russisch und Ukrainisch. Deutschland ist eine jüdische Heimat geworden.“
Diese Zeit des Friedens in Europa, in den Neunzigerjahren ohnehin unterbrochen, sei inzwischen vorbei: „Die Normalität ist durchbrochen, der Fortschritt der Demokratie ist zum Stillstand gekommen und braucht neuen Schwung. Wohlstand, Freiheit und Stabilität, die Säulen unserer Gesellschaft und auch der jüdischen Existenz hier, haben langsam zu bröckeln begonnen.“ Die Zunahme des Judenhasses mache diese deutlich: „Er ist ein zerstörerisches Phänomen, das alles bedroht, wofür man Deutschland heute schätzen kann und schützen sollte. Wir in den Gemeinden bekommen ihn am stärksten ab, weil wir seine Auswirkungen als Erste spüren. Aber die Gefahr betrifft nicht nur uns. (…) Früher oder später kommen Rassismus, Xenophobie, Frauenfeindlichkeit, Homophobie dazu – das alles fügt sich schnell zu einem autoritären Weltbild zusammen. Es ist keine Schwarzmalerei, das zu benennen. Sondern es ist ein nötiger erster Schritt auf dem Weg zu einer Lösung. Denn Deutschland hat aus seiner Geschichte gelernt. Wir haben engagierte Staatsanwälte und einen Verfassungsschutz, die dafür sorgen, dass Extremisten in Schach gehalten werden. Wir haben Antisemitismusbeauftragte. Und wir haben verantwortliche Politiker, die viel tun, um jüdisches Leben zu unterstützen und zu fördern. Die Anwesenden spreche ich dabei besonders an. Die meisten Menschen in diesem Land sind vernünftige und aufrechte Demokraten. Und niemand wird als Antisemit geboren – unabhängig von Herkunft oder Religion.“ Was es jedoch dringend brauche, sei ein stärkeres Bewusstsein auch in der Gesellschaft. Es bedarf einer politischen Bildung, die massiv gestärkt werden müsse. Und es brauche mutige Politiker. „Ohne Einigkeit, ohne Überparteilichkeit und ohne das beherzte und entschlossene Handeln der Demokraten wird sich nichts verbessern. Dieses Handeln zeichnet auch Ihren Verein, die Deutsche Gesellschaft aus (…) – und es bedeutet mir sehr viel, dass Sie dieses Ideal auch in meiner Person wiedererkennen und mit einem Preis würdigen. Das nehme ich als Auftrag, aber nicht als Auftrag nur für mich. Die Verantwortung tragen wir alle, und bestenfalls will ich meinen Teil tun, um anderen zu Gleichem zu ermutigen. Aufgeben war nie eine Option für mich – und wird es auch nie sein. Dieses Land hat viel geleistet, und wir alle haben für dieses Land viel erreicht. Es ist eine Heimat geworden, in einem Europa, für das es sich zu kämpfen lohnt. Als Jüdin, als Bayerin, als Deutsche sage ich: Darin dürfen wir nicht nachlassen. Dafür sind wir gefordert. Es ist unsere Heimat!“
Überreicht wurde der Preis von Sabine Bergmann-Pohl, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft e. V., und Linda Teuteberg, stellvertretende Vorsitzende des Vereins. Beide hoben hervor, wie wichtig der Kampf gegen Antisemitismus gerade in heutiger Zeit sei. „Das Ausmaß an antisemitischen Vorfällen und Straftaten hat hierzulande eine neue Dimension erreicht“, so Bergmann-Pohl. „Es ist also nicht überraschend, wenn Jüdinnen und Juden in Deutschland um ihre Sicherheit fürchten, denn hinter den abstrakten Zahlen stehen immer einzelne Menschen.“ Dass „Jüdinnen und Juden nicht in Deutschland bleiben wollen, weil sie Übergriffe, Hass und Hetze fürchten, sei eine Realität, „gegen die wir uns alle auflehnen müssen: nicht nur die Politik und der Rechtsstaat, sondern auch jede und jeder einzelne von uns“, so Bergmann-Pohl weiter. Linda Teuteberg erklärte, wie wichtig es sei, dass es dem Bundestag gelungen ist, mit der Antisemitismus-Resolution das notwendige Signal zu setzen, „dass jede Form des Antisemitismus gleichermaßen inakzeptabel ist.“ Zudem sprach sie sich für die Bewahrung der deutschen Erinnerungskultur und der Erkenntnis aus, dass „die Shoa nicht ein Verbrechen unter vielen, sondern ein singulärer Zivilisationsbruch“ ist.
Bericht von tv.berlin:
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09.11.2024